Wie alles Anfing
Eine spontane Reise, die mich fotografisch und auch persönlich verändert hat.
wenn ein Déjà-vu mit der Vergangenheit ein neues Licht in dir entfacht. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern: 24 Jahre alt und so richtig grün hinter den Ohren. Privat hatte ich sehr viele falsche Entscheidungen getroffen. Familie, Beziehung, Schule, Beruf – in allen Lebenslagen lief nichts, wie es laufen sollte. Ich irrte ziellos von einem Tag zum nächsten.
Wie aus dem Nichts kam damals die Einladung, meinen Onkel und seine Familie in Richtung französische Alpen zu begleiten. Das Ziel hieß Chamonix, eine Stadt unter dem höchsten Gebirge der Alpen. Montblanc, 4810 Meter hoch. Bis zu diesem Punkt dachte ich nie wirklich über Berge nach. Berge waren für mich einfach nur … Berge. Ich hatte absolut keine Vorstellung davon, was mich dort erwarten würde.
Angesichts meiner privaten Lage war es eine sehr gute Möglichkeit, einfach mal loszulassen. Ohne mit der Wimper zu zucken, sagte ich dem Trip in die Berge zu. Es war sehr früh am Morgen, als die Karawane, bestehend aus meinem Onkel, seinen zwei Kindern und seiner Frau, vor meiner Haustür stand. Mit dem Rucksack auf dem Rücken, der Kamera im Gepäck und der Regenjacke in der Hand fuhren wir los. Es lagen knapp 850 lange Kilometer vor uns.
Als die Strecke schon bis auf einige Kilometer abgefahren war, war nichts zu sehen von diesen besagten Gebirgen. Stattdessen sah ich nur Regen, Nebel und Bäume. Eine ernüchternde Stimmung machte sich breit. In unserer Unterkunft angekommen, lief ich direkt auf den Balkon und vergewisserte mich noch einmal, ob da draußen nicht doch mehr war als Nebel und Regen. Doch nichts. Den restlichen Tag verbrachten wir damit, die Unterkunft gemütlich einzurichten und zu Abend zu essen.
Laut Wetterbericht wartete der nächste Tag auch schon mit sehr gutem Wetter auf uns. Es war soweit, und der nächste Tag schien mir durch das Fenster in die Augen. Ich lief sofort auf den Balkon und sah, dass der Nebel ein wenig schwächer geworden war. Man sah ein wenig weiter und vor allem höher. Ich war aufgeregt und wollte raus, um mich richtig umzuschauen.
Die Berge und das Déjàvu.
Gefrühstückt und sofort ins Auto! Endlich ging die Reise zur Station Aiguille du Midi los. Eigentlich wussten wir in diesem Moment noch gar nicht, wohin wir fuhren. Aber wir fuhren. Wir waren absolut uninformiert. Wie blinde Anfänger-Touristen fuhren wir einfach los in Richtung Stadt.
Aufgeregt saß ich als Beifahrer und starrte nur nach draußen. Der Nebel ließ sehr schnell nach, und plötzlich kamen erste Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke. Durch ein Loch in der Wolkendecke brach nun die Spitze von einem kleinen Gebirge neben dem Montblanc heraus, und ich sah zum ersten Mal ein echtes Gebirge. Ich hätte niemals gedacht, dass es sich so toll anfühlen könnte, etwas so Großes mit eigenen Augen zu sehen! Noch nie sah ich etwas so Riesiges und Gewaltiges.
Es vergingen nur einige Sekunden, und da war es um mich geschehen. Die Wolkendecke klaffte noch weiter auf, und mir wurde bewusst, dass das kleine Gebirge, das vor paar Sekunden noch gewaltig war, nur ein kleiner Fuß verglichen zum Montblanc war. Der Fuß des Eisberges. Ich war hin und weg. Ich staunte und konnte mich nicht satt sehen. Eine Faszination packte mich in Sekundenschnelle. Ein warmes Gefühl – schwer in Worte zu fassen. Es mag für den einen oder anderen zu sentimental wirken oder überdreht. Diese Faszination kann vielleicht auch nicht jeder nachvollziehen. Man muss es einfach selbst erlebt haben, um es verstehen zu können.
In meinem Kopf brodelte es. Verglichen zu mir war die Stimmung im Auto eher gelassen. Der Ältere von den beiden Kindern ließ die Augen nicht mal von der Spielkonsole. Doch die Augen meines Onkels glänzten, und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Mund bemerkbar. Spürte er das auch? fragte ich mich damals.
Aus weiter Ferne sahen wir, wie Seilbahnen hoch in Richtung der Gebirge fuhren. Der Parkplatz war schnell gefunden, doch die Kinder wollten gar nicht nach oben. Ich bekam aber kaum was mit und dachte nur daran, so schnell wie möglich da hoch zu gelangen. Wir ließen die Kinder zurück, und zu zweit bezahlten wir die Tickets, um mit der Gondel hochzufahren.
Aiguille du Midi auf 3842 Metern Höhe, meine Kindheit in Asien.
Auf ganze 3.842 Meter Höhe brachte uns die Gondel. Die Luft da oben ist dünner und viel kälter. Diese Höhen waren für mich bis vor einigen Stunden nur reine Fantasie aus Film und Fernsehen. Ich auf fast 4.000 Meter Höhe? Bisher kannte ich nur Düsseldorf, Köln, Borkum oder London. Aber Berge waren mir fremd. Ich war glücklich, heimisch und zufrieden da oben. Es ist die erste Euphorie, dachte ich mir damals. Doch das Gefühl blieb. Es wurde sogar stärker. Ich hatte die Kamera gar nicht mehr angerührt und starrte nur in die Ferne und war wie gelähmt.
Ein Zuhause-Gefühl überkam mich, wenn ich diese schier unendlichen Alpen sah. Erst später kam mir die Idee, das ganze mit meiner Kindheit zu verbinden. Ich war in einem kleinen Dorf namens Kok-Jar geboren. Ein Dorf, das am Rande Kirgisiens liegt. Um dieses Dorf erstreckten sich unendliche Gebirge und eine prächtige Natur. Ich verbrachte meine Kindheit nur knapp 1.800 Kilometern Luftlinie von Nepal entfernt. War es ein Déjà-Vu aus meiner Kindheit, welches mir dieses Gefühl gab?
Die Station Aiguille du Midi war überrannt mit noch mehr solcher Touristen wie uns. Die Gondeln standen nicht still. Von oben herab gesehen wirkte die ganze Stadt unter uns wie ein kleiner Ameisenhaufen, beobachtet von einem Baumwipfel. Knapp zwei Stunden verbrachten wir da oben, und ich war hungrig nach mehr Landschaft. Ich versank ständig in Gedanken. Warum habe ich mich nie mit Gebirgen beschäftigt? Warum waren diese einfach niemals ein Thema gewesen? Meine Mutter erzählte mir oft, dass ich in den Bergen gemacht wurde.
Unten angekommen fehlten mir die Worte. Ich musste alles in Ruhe verarbeiten. Der Tag war noch lang. Die Kinder hatten Hunger. Aber ich wollte am liebsten einfach wieder hoch. Am Abend in der Unterkunft beschlossen mein Onkel und ich am kommenden Tag so früh wie möglich erneut nach oben zu gelangen. Ich konnte kaum schlafen – so aufgeregt war ich.
Mein bestes Bild in den Bergen.
Heute würde mein bestes Bild entstehen! Nur wusste ich es noch nicht. Es war sehr früh am Morgen, und ich stand stramm wie ein Soldat. Ich wollte unbedingt da hoch, so schnell es geht. Das waren meine Gedanken. Die Kamera hielt ich diesmal in der Hand und fotografierte alles auf dem Weg hoch zu der Station. Von den typischen Touristen fehlte bis auf einige wenige jede Spur. Es war wohl viel zu früh. Stattdessen waren Bergkletterer, zugepackt mit Seilen und Karabinern, in großer Zahl mit uns in der Gondel. Alle hatten sie rote Gesichter vom ganzen Klettern in den Bergen. Irgendwie machte mich das alles verdammt neugierig. Wo wollten sie da lang? Würde ich mich so etwas auch trauen? Könnte ich es mir überhaupt leisten?
Die Gondel hielt an der Aiguille du Midi an, und ich fühlte es wieder – dieses Gefühl, diese Zufriedenheit. Was war das? Mit der Kamera bewaffnet, machte ich endlich einige Bilder. Eigentlich machte ich sehr viele Bilder. Meine Kamera hörte nicht mehr auf zu knipsen. Da passierte es. Der perfekte Moment. Eine größere Gruppe der Bergkletterer stieg einen Bogen aus Schnee hinab, um ihre Tour zum Montblanc zu starten. Das Licht fiel perfekt, und ich knipste das beste Bild. Mein bestes Bild.
Natürlich war mir klar, dass ich nicht der erste Mensch an genau dieser Stelle war und auch nicht der erste, der die Personen beim Abstieg so schön festhielt, aber für mich war es in diesem Moment eine Errungenschaft. Ich war zur damaligen Zeit noch ein wirklicher Anfänger. Knapp 4.000 Bilder brachte ich von meinem ersten Besuch in den Alpen mit nach Hause. Wirklich nutzen konnte ich nur sehr, sehr wenige. All die Familienbilder ausgenommen, fiel die Zahl der nutzbaren Bilder weit unter 100 Stück.
Mit der Kamera durch Chamonix und der Traum vom Wandern mit Zelt und Schlafsack.
Die folgenden Tage verbrachten wir immer zusammen und versuchten, so viel zu sehen, wie es nur möglich war. Die Möglichkeiten waren schier unendlich. Jedes Mal, wenn man mit der Gondel nach oben kam, erstreckten sich die Alpen in alle Richtungen. Immer wieder sah ich Wanderer mit größeren Rucksäcken an uns vorbeilaufen. Schlafsäcke, Zelte und anderes Equipment fielen mir auf. In mir entfachte der Gedanke, auch mal in die Freiheit raus zu kommen. Ich wollte das auch. Warum war ich nie auf den Gedanken gekommen, mich in diese Richtung zu informieren?
Jede Pause, die wir einlegten, nutzte ich, um in meinem Handy nach Informationen zu suchen. Wandern, Rucksack, Zelt, Frankreich und ähnliche Worte führten alle auf eine bestimmte Bezeichnung hin: Tour de Montblanc. 180 Kilometer Tour für Profis und auch Anfänger. 8 – 14 Tage mit Rucksack und Zelt den Montblanc umrunden. Dabei passiert man die italienischen Alpen, die französischen Alpen sowie die Schweizer-Alpen. Das klingt doch beinahe unglaublich, dachte ich mir. Mir war diese Welt bisher einfach verborgen geblieben. Aber damals war es ein Ding der Unmöglichkeit für mich, sowohl logistisch als auch finanziell. Ich behielt mir aber viele Notizen für spätere Recherchen auf.
Wieder zuhause
Ich war wieder zu Hause angekommen. Ich war definitiv nicht mehr dieselbe Person. Meine Gedanken an diese Landschaft und das Wandern ließen mich nicht mehr los. Zuhause in meinen vier Wänden aus Beton fühlte ich mich definitiv nicht mehr wohl. Ein Blick aus dem Fenster offenbarte immer wieder nur noch mehr Beton. Es ist schon verdammt beängstigend, wie eine einzige Woche an einem anderen Ort einfach alles verändert. Ich bin so dankbar, dass ich damals diese Möglichkeit bekam und sie auch nutzte. Jetzt sitze ich hier, fast fünf Jahre später, am PC und schreibe endlich diese Zeilen.
Mittlerweile habe ich Norwegen bereist. Ich habe die Nordlichter auf den Lofoten fotografiert. Ich habe das Matterhorn samt Zermatt mehrmals besucht, und während ich diese Zeilen gerade schreibe, plane ich die Tour de Montblanc für 2020. Dieser eine Besuch der französischen Alpen hat wortwörtlich alles verändert. Ich habe plötzlich ein Ziel vor Augen. Ein wahrhaftiges Interesse an etwas, was sich bis in meine tiefsten Gedanken bohrt. Ein Hobby, um das ich nun mein Leben plane.
3000 km mit dem Auto auf die Lofoten. Meine erste Nacht im Zelt in den Schweizer Alpen – all diese Geschichten möchte ich mit dir auf dieser Seite teilen. Meine Reise vom Anfänger zum Amateur. Vom Amateur zum erfahrenen Wanderer. All das werde ich mit meinen Bildern und Gedanken hier auf dieser Seite präsentieren.
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